Newcomer hier, Newcomer da. Nicht viel anders lässt sich die aktuelle Atmosphäre in der Retroszene beschreiben. Alleine in den letzten 50 Tagen wurden mindestens 24 ersichtliche Retro Comebacks und Neueröffnungen angekündigt. Über 20 davon schon alleine nur im Mai, der gerade Mal – bis jetzt – 23 Tage umfasst. Eine Statistik, die sich anhand der Facebookveranstaltungen und Threads auf RetroTown erschließen lässt. Während die meisten Newcomer mit Wahrscheinlichkeit schon wieder geschlossen sind, hält sich der andere Teil mit Userzahlen von maximal 10-20 Spielern nahe der Grenze am Leben. In diesem Moment bestellt sich ein anderer User bereits einen Server, den er problemlos via Paysafecard bezahlt, um dort sein neues Retro zu eröffnen. Es ist der alltägliche Ablauf: Ein Hotel schließt, das andere eröffnet. Vielleicht würden diese (Re-)Openings nicht ganz auf Widerstand stoßen, würden sie wenigstens ihrem eigenen Namen und das der deutschen Szene eine Ehre machen.
Die obigen Fakten sprechen für sich und nicht wenige sind sich bewusst: Die Entwicklung, in der wir uns befinden, ist bedenkenswert. Wir schreiben aktuell eine Generation, die von der Auffassung, Retro Hotels zu eröffnen, nur so geprägt ist. Foren wie RetroTown werden überwiegend nur noch für Promotion genutzt, auf sozialen Netzwerken bekommt man keinen Tag ohne Einladungen für ein neues Comeback mit und in den vollsten Räumen des HabboST werben Fremduser im Minutentakt für mindestens 10 unterschiedlichste Retro Hotels. Wer hat da noch einen Überblick über die ganzen Habbo Klone? Es ist klar, dass Retros schon immer ein angesehenes Thema waren und auch in Vergangenheit zahlreich eröffnet wurden – aber gerade heute sind wir es, die durch unser Verhalten, optimale Gegebenheiten, die so anlockend sind, bieten, dass man gar nicht anders kann, als sein Glück mit seinem eigenen Hotel zu versuchen. Und das ist wohl kaum zu übersehen.
Mit unseren Edits, die wir basierend auf dem HoloCMS veröffentlicht haben, haben wir die Retroszene bunter gemacht. Wir haben sie geschmückt und der Eintönigkeit ein Ende gegeben: was nicht heißen muss, dass sie dadurch schöner geworden ist – aber sie wurde vielfältiger. Eine Unmengen Auswahl an CMS für die Gestaltung des eigenen Hotels gibt es ohnehin auf RetroTown in dem dafür vorgesehen Bereich. Mit den Leaks, die wir aus anderen Retros gezogen haben, um cool zu sein oder dem anderen eins auszuwischen, haben wir seltene und besondere Funktionen zum Alltag gemacht. „Wow, das Retro hat ja was, was niemand anderes hat!“, wurde damit nichtig. Durch Projekte wie RetroHost haben wir es einfacher denn je gemacht, billige Server zu bestellen und zu bezahlen. Vor allem Minderjährige kamen in Genuss dieser Vorteile: Einen Server, der ansatzweise einige User hält, für nur 10€, ohne Kontrollen oder sonstige Angstgründe. Emulatoren, vorgefertigte Datenbanken und Vorstellungen für die Eröffnung gibt es auf allen Seiten genug. Wo man damals darauf achten musste, sich erst einmal einen richtigen Server zu besorgen, das CMS selber editieren und auf seine Vorstellungen anpassen musste, vielleicht sogar neue Features und Designs eingebaut, wenn auch nicht alles genauestens geplant hat, bekommt man heute alles förmlich in den Arsch geschoben. Wer die neusten Features will, nutzt einfach das veröffentlichte HuggoCMS. Einen Server? Vermieter gibt es genug – und 10€ sind kein Preis, mit dem man nicht fertig werden könnte. Ja, sogar als Jugendlicher, der gerade mal eben sein Geld bei der nächsten Tankstelle umtauschen muss. Dank der einfach gehaltenen Gegebenheiten kann jeder User der Retroszene mit nur wenig Aufwand ein Retro Hotel erstellen - ein neues Retro aufsetzen ist innerhalb von 15 Minuten erledigt.
20 Retroankündigungen in 23 Tagen sind in der Tat etwas Erstaunliches. Ersichtlicher denn je sind vor allem die Folgen hieraus. Zumal schaden sich die Hotels gegenseitig, weil sie vereinzelt minimale Prozentualteile an der Gesamtcommunity haben. Das Bild ist uns allen bewusst: Heute sind 20 User auf 20 verschiedene Retros verteilt, statt etwa 80 auf fünf Retros oder 200 User auf zwei. Die Szenentransperenz ist alles andere als gut: man verliert den Überblick und die Möglichkeit, zwischen guten und schlechten Retros zu unterscheiden. Hier und da gibt's Ausnahmen, aber in Wirklichkeit bieten sie auch nicht viel mehr, wie jedes andere. Große Hotels, die schon seit Jahren bestehen, gibt es immer weniger. Diese werden als Werbe-Anlaufpunkt für die Newcomerretros genutzt: Von allen Seiten wird man mit Retros zugespammt – so viele, dass man sich kaum noch an eines wirklich erinnern kann. Und gerade weil die Communitys in so vielen Retro Hotels gespalten sind, schwindet immer mehr die Hoffnung, dass sich ein Retro wie in den damaligen Zeiten zu einem Hotelgiganten aufbauen kann, indem sich die Community an einem Ort ansammelt. Von diesen Orten gibt es nun grenzenlos viele. Bisher sind alle gescheitert oder hängen noch an den 50/60 Userzahlen. Hinzu kommt, dass die Erfahrung der Besitzer massiv zurückgeht: Kaum ein Hotelbesitzer kann heute fließendes PHP und weiß ohne einen Thread auf RetroTown bei Emulatorproblemen eigenständig weiter zu wissen. Hier und da gibt es selbstverständlich Ausnahmen, aber gerade deshalb, weil die Erfahrung fehlt, sehen Retros immer öfter gleich aus. Vom Aufbau, vom Design, von allem. Manchmal sogar vom Logo. Erst die zwei Comebacks heute, Cabbo und HabboUNO, zeigten idealistischer Weise, wie typisch heute ein Retro gehandhabt wird: Katalogfehler, Fehler bei der Registrierung und Fehler auf der Homepage, ganz zu schweigen von Anzeigefehlern, die rechts liegen gelassen werden. Alles wird nur noch fertig und „fabrikhergestellt“ verwendet – die Individualität geht verloren, es fehlt die Technik, die von einem Retro überzeugt. Und kreativere Namen gibt's schon lange nicht mehr.
Nichtsdestotrotz halten sich die Retros am Leben. So lange, bis irgendwann die Lust vergangen ist, das Retro schließt und der gleiche Besitzer 2 Monate später wieder sein Retro eröffnet. Bis dahin wird jedoch alles noch schlimmer sein wie heute. Was es bringt, darüber eine Predigt zu halten? Wohl gar nichts. Die Retroszene ist zu dem geworden, was wir aus ihr gemacht haben – es gibt 5 Hotelgiganten mit ordentlichen Userzahlen und stabiler Technik, die die Oberschicht bilden, und 40 andere, die nie eine Chance haben werden, nichtsdestotrotz die User abziehen. Macht das noch Spaß als Außenstehender?