Teeanger nimmt sich nach Cyber-Mobbing das Leben
DIE MUTTER: „WIR KONNTEN SIE NICHT BESCHÜTZEN"
Amanda Todds Selbstmord schockiert im Internet
New York/Port Coquitlam – Der Selbstmord von Amanda Todd († 15) schockt die Welt. Jahrelang wurde der Teenager im Internet gehänselt. Dann nahm sich das Mädchen das Leben. Ein auf Youtube veröffentlichtes Video war der letzte Hilferuf der 15-Jährigen aus der Nähe der westkanadischen Stadt Vancouver.
Millionen Menschen haben das Video seit dem Selbstmord angeklickt. Tausende twitterten über den Fall oder unterstützten eine in ihrem Namen gegründete Facebook-Seite. Die traurige Geschichte ist keine Ausnahme - Cybermobbing gilt weltweit als wachsendes Problem.
Fast neun Minuten lang hält sie eine beschriebene Karteikarte nach der anderen in die Kamera. Das Mädchen selbst ist nur teilweise, schwarz-weiß und undeutlich im Hintergrund zu erkennen. Doch wie sehr Cybermobbing ihr Leben zerstört hat, wird mehr als deutlich. Vor zwei Wochen beging Amanda Todd Selbstmord.
VergrößernAmanda Todd hält beschriebene Karteikarten in die Kamera, ruft um Hilfe. Das auf YouTube veröffentlichte Video war der letzte Hilferuf des Mädchens
Foto: dpaViele Menschen fragen sich, warum musste Amanda sterben? Haben die Eltern oder Behörden versagt?
In der kanadischen Zeitung „Vancouver Sun“ hat sich Amandas Mutter nun erstmals zu Wort gemeldet. Sie sagt: „Sie hat alles mit mir geteilt. Wir haben alles getan, um ihr zu helfen.“
Unter Tränen berichtet die Mutter, dass Amanda ein ganz normaler Teenager war. Sie habe aktiv am Leben teilgenommen, hatte Freunde und viel Sport wie Cheerleading, Eishockey, Gymnastik gemacht und nicht nur einsam vor dem Computer gesessen: „Sie war immer beschäftigt und machte alles in ihrer Freizeit, was sie konnte. Sie berührte die Herzen aller Menschen, die sie kannten.“
Doch als sie die siebte Klasse besuchte, änderte sich plötzlich ihr Leben. In dieser Zeit fing sie an, im Internet zu chatten. Nur aus Spaß. Im Chat trifft sie Männer, die ihr Komplimente machten. Einer bittet sie um ein Foto ihrer nackten Brüste. Todd – jung und naiv – mailt es ihm. Er schickt es an ihre ganze Schule und lädt es bei Facebook hoch.
„Ich kann das Foto nie zurückholen. Es wird immer irgendwo da draußen sein”, stellt Todd fest. Ihre Mitschüler fangen an, sie zu hänseln. „Ich habe jede Nacht geweint und alle Freunde verloren.”
Die Angriffe ihrer Mitschüler werden immer schlimmer, schließlich sogar gewalttätig. Todd bekommt Panikattacken und Depressionen, flüchtet sich in Alkohol und Drogen. Mehrmals wechselt sie die Schule, aber ihre Vergangenheit im Internet holt sie immer wieder ein.
Mit ihren Eltern hat sie offen besprochen, was passiert ist. Mutter Carol: „Sie hatte eingesehen, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sie war oft traurig, dass sie Menschen so über sie urteilen. Sie versuchte alles zu vergessen, aber die sozialen Netzwerke machten das unmöglich.“
Die Mutter suchte nach Ärzten, die ihrer Tochter helfen können, unterstützte Amanda beim Schulwechsel, machte ihr Mut. Doch die Mutter hatte keine Chance gegen das Cybermobbing, dass ihre Tochter zerstörte: „Wir konnten unsere Tochter nicht sieben Tage rund um die Uhr beobachten. Wir hätten sie anketten müssen, um sie zu schützen.“
Selten hat eine Mobbing-Betroffene ihre Leidensgeschichte so öffentlich und detailliert dargelegt – und damit so greifbar gemacht – wie Amanda Todd.
„Ich habe mich entschieden, Euch von meiner niemals endenden Geschichte zu erzählen”, beginnt Todd ihr Karteikarten-Video. „Ich habe niemanden. Ich brauche jemanden.” steht in schwarzer, kugeliger Mädchen-Schrift auf einer weißen Karteikarte. Ein traurig guckendes Smiley-Gesicht ist dahinter gemalt. Dann wird der nächste Zettel in die Kamera gehalten. „Mein Name ist Amanda Todd.” Kurz danach begeht sie Selbstmord.
Einige Zeit zuvor überlebte sie schwer verletzt einen ersten Selbstmordversuch, sie trank Bleichmittel. Das auf YouTube veröffentlichte Video war der letzte, verzweifelte Hilferuf der 15-Jährigen.
VergrößernAn vielen Plätzen gedachten die Menschen in Kanada an Cybermobbing-Ôpfer Amanda Todd, die sich wegen jahrelanger Hänseleien das Leben nahm
Foto: dapdAmandas traurige Geschichte ist keine Ausnahme – Cybermobbing gilt weltweit als wachsendes Problem.
In Deutschland wurde Studien zufolge mindestens jedes dritte Kind schon einmal im Netz belästigt. Immer wieder machen Selbstmorde der Ôpfer Schlagzeilen und lösen Trauer und Entsetzen aus
Hunderte Menschen versammelten sich am Freitag an Plätzen in Kanada und zündeten Kerzen für das Mädchen an. Schulen gedachten ihrer mit Schweigeminuten.
Navi Gill, Organisatorin einer Gedenkveranstaltung zum Nachrichtensender CTV: „Ich habe keine Zweifel, dass Millionen von Menschen, die Amandas Video sehen – ob sie gemobbt werden, oder selber mobben – davon beeinflusst werden.” Die Premierministerin der kanadischen Provinz British Columbia, Christy Clark, forderte eine öffentliche Debatte über Cybermobbing.
Die Hackergruppe Anonymus macht jetzt Jagd auf Amandas Peiniger.Ebenfalls per Online-Video wandte sie sich an Todds Peiniger und stellte schließlich nach einer ausgiebigen Online-Recherche Name und Adresse des angeblichen Täters ins Netz. Er hat allerdings bestritten, Todd gemobbt zu haben.
Aber Anonymous will nicht aufgeben und auch die kanadische Polizei sucht weiter mit Hochdruck nach dem Mann, der ein junges Mädchen in den Selbstmord trieb.